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Wider das Wegwerfen – Im Reparaturcafé erhalten abgel(i)ebte Dinge eine zweite Chance

von Christoph Brammertz

Unter dem Schlagwort DIY (»Do it yourself«) erleben alte Kulturtechniken des Selbermachens und Reparierens eine Renaissance. Vielerorts streben urbane Gemeinschaftsgärten, offene Werkstätten sowie Reparaturinitiativen nach mehr Nachhaltigkeit in der Nachbarschaft. Oft leben sie vom Engagement älterer Menschen – so auch das Repair-Café der „Wunschnachbarn“ in Köln-Nippes. Ein Ortsbesuch.

An einem Freitagnachmittag Ende Januar 2025 betritt Doris Hecker das Repair-Café inmitten des Clouth-Quartiers, einem neuen Stadtviertel im Kölner Norden auf einem ehemaligen Industriegelände. Sie hat eine ungewöhnliche Leuchte bei sich: In einen Beutel eingelassen erinnert sie an die Miniaturausgabe eines Sitzsacks. „Das ist eine Designerlampe“, erklärt sie. „Ich weiß aber gar nicht, wer die entworfen hat. Moment … Ah, doch!“ Ein Blick auf das Etikett gibt Aufschluss: „Lichtsack, so heißt sie. Designed by Christofer Born.“ Die Lampe hat sie vor über 20 Jahren im Shop des Kölner Museums für Angewandte Kunst gekauft.

„Ich habe zwei davon und da war nie etwas dran. Aber jetzt ist eine kaputt.“ Anstatt sich eine neue Lampe zu kaufen, hat sie sich für einen Besuch im Repair-Café entschieden. Denn für Doris Hecker ist klar: „Warum soll man etwas wegwerfen, das noch zu verwenden ist?“

Altmodisches Wertebewusstsein

Doris Hecker war schon öfter im Repair-Café. Einmal brachte sie ein kleines Fußbänkchen von ihren Großeltern mit, das wieder zusammengeleimt werden konnte. Ein anderes Mal kam sie mit einem alten Milchkännchen mit gebrochenem Henkel. „Das hat mir jemand geschweißt. Weil es hier keine Möglichkeit dafür gibt, hat der Herr es sogar mitgenommen und repariert zurückgebracht. Ich bin sehr glücklich.“

Gäste wie Doris Hecker hätten ein „altmodisches Wertbewusstsein“, sagt Peter Heinzke – genau wie er selbst. Der 75-Jährige hat das Café 2019 zusammen mit Mitstreiter*innen aus seiner damaligen Bau- und heutigen Wohngemeinschaft Wunschnachbarn ins Leben gerufen. Seitdem laden sie in ihrem gemeinschaftlich errichteten Mehrfachfamilienhaus einmal im Monat an einem Freitagnachmittag für zwei Stunden ins Repair-Café ein.

„Wir haben schon in der Planung gesagt: Wir wollen da unten eine Werkstatt haben, die auch der Nachbarschaft zur Verfügung steht.“ Wenn kein Repair-Café stattfindet, können die Menschen aus dem Clouth-Quartier die 32 Quadratmeter große Werkstatt im Keller frei nutzen. Die Idee dazu hat Peter Heinzke aus seinem Berufsleben mitgebracht:

„Ich habe früher eine offene Werkstatt in einer Familienbildungsstätte geleitet.“ Damals habe man vor dem Hintergrund schwindender Erwerbsarbeit nach neuen Möglichkeiten gesucht, selbstbestimmt zu arbeiten. „Eine Werkstatt ist ja auch eine Möglichkeit für selbstbestimmtes Arbeiten, auch Eigenarbeit genannt. Das ist eine soziologische Diskussion, die schon 40 Jahre zurückreicht.“ An seinem früheren Arbeitsplatz gibt es heute ebenfalls ein Reparaturcafé.

Rund 2.000 Reparaturinitiativen gibt es nach Angaben der „anstiftung“ bundesweit, sowohl in Städten als auch im ländlichen Raum, Tendenz steigend. Die Stiftung berät Gründer*innen ehrenamtlicher Reparaturinitiativen und unterstützt sie durch Fördergelder, Reparaturtipps, Workshops und Vernetzung. Viele Repair-Cafés werden von Nachbarschaftsnetzwerken und -vereinen gegründet und betrieben, aber ebenso von und in Kirchgemeinden, Mehrgenerationenhäusern und soziokulturellen Zentren. Wie im Clouth-Quartier sind es häufig ältere Bürger*innen, die mit ihrem ehrenamtlichen Engagement die Initiativen am Laufen halten. Die Reparaturen sind dadurch allesamt kostenlos.

Begegnung und Geselligkeit

Doris Hecker kommt nicht nur gern ins Repair-Café, um ihren geliebten Dingen ein zweites Leben zu schenken. „Es ist einfach schön hier“, findet sie. „Man sitzt zusammen, trifft Leute, erzählt sich was.“ Während sie auf einen freien Reparateur warten, sitzen die Besucher*innen an einem großen Tisch und werden von ehrenamtlichen Helferinnen mit Kaffee und Kuchen versorgt. Neben Nachhaltigkeit geht es dem Reparaturcafé-Team ausdrücklich auch um Begegnung und Geselligkeit, betont Angelika Pohlert: „Manche suchen vorher, was man noch reparieren lassen könnte, und kommen dann mit ganz altem Kram, einem Lockenstab oder so. Das ist hier auch ein bisschen was gegen die Einsamkeit.“ Mehr als die Hälfte der Besucher*innen sind über 60 Jahre alt, so weist es die Statistik der Wunschnachbarn aus, acht Prozent sogar jenseits der 80.

Die 67-jährige Schauspielerin und ehemalige Theaterpädagogin Angelika Pohlert wohnt wie Peter Heinzke in einer Senior*innen-WG im zweiten Stock des intergenerationellen Gemeinschaftshauses der Wunschnachbarn. Im Repair-Café sorgt sie für einen geordneten Ablauf, damit alle Reparaturwünsche erfüllt werden können. Nicht nur deshalb gibt es an diesem Tag keine langen Wartezeiten, sondern auch weil heute gleich acht Reparateure im Einsatz sind – lauter „weißhaarige ältere Herren“, wie Angelika Pohlert schmunzelnd anmerkt.

Einer von ihnen ist Martin Heinemann, 75 Jahre alt. Er nimmt sich Doris Heckers Designerlampe an. „Ich habe Elektriker gelernt, aber das ist über 50 Jahre her“, erzählt er lachend. Vor zwei Jahren entschied er sich, als Reparateur im Repair-Café aktiv zu werden. „Ich wollte mich einfach nützlich machen. Ich habe schon immer gern gebastelt.“ Konzentriert untersucht er die Lampe und findet schnell heraus: Es liegt am Schalter. „Das ist kein Problem“, versichert er, „den können wir austauschen.“ Doris Hecker wird noch lange Freude an ihrem Lichtsack haben.

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