
Wider das Wegwerfen – Im Reparaturcafé erhalten abgel(i)ebte Dinge eine zweite Chance
Alte Dinge erfahren neues Leben durch ehrenamtliches Engagement älterer Menschen im Repair-Café.
© Gabriele Struck | In der Austellung
Mit Kleidungsstücken verbinden wir oft besondere Geschichten, an die wir uns gut erinnern. In dem Projekt „alles schick – Kleider & Geschichten“ hat die Potsdamer Kunstvermittlerin Gabriele Struck mit zwei Gruppen älterer Frauen diese Erinnerungen mit Papiermodellen der Kleider wieder lebendig gemacht und in einer Ausstellung präsentiert.
Anfänglich stehen die Seniorinnen dem kreativen Ausstellungsprojekt eher skeptisch gegenüber. Von einem schönen Kleid haben die Frauen zwar alle eine Vorstellung – das eine oder andere hängt (noch) in ihrem Kleiderschrank. Aber ein neues Modellkleid aus Papier zu entwerfen und öffentlich zu präsentieren, da haben sie doch große Bedenken, ob sie das in ihrem Alter noch „schaffen“. Auch der Flyer, auf dem eine kleine Schneiderpuppe zum Mitmachen animieren soll, schreckt die ein oder andere, die jahrelang an den Kreativangeboten des Senior*innen-Heims teilgenommen hat, eher ab. Zu perfekt! Nur durch persönliche Ansprache entscheiden sich 13 Frauen schließlich doch, zum ersten Treffen zu kommen. Und: Sie bleiben und kommen wieder …
Das Projekt findet im Jahr 2022 in der Senior*innen-Einrichtung Katharinenhof in Potsdam statt, eine zweite Gruppe trifft sich in einem Stadtteilladen. Die Teilnehmerinnen sind zwischen 70 und 98 Jahre alt, leben im Betreuten Wohnen, auf der Pflegestation oder in einer Wonung im Stadtteil.
Welches Muster, welche Farbe, welche Qualität – Baumwolle, Samt oder Kunstseide – erinnert die Frauen an das Kleid, das sie früher besonders gern getragen haben? Zum Einstieg gibt die Textildesignerin Kathrin Thiele eine Schachtel mit Stoffresten in die Runde. Jede findet darin einen Stoff, der Erinnerungen weckt: an das Konfirmationskleid, an das karierte Schulkleid oder das blaue Tanzkleid. Die Teilnehmerinnen erzählen Geschichten aus Ost und West und schmunzeln über sündhaft teure Kleiderkäufe. Eine der Frauen etwa hat sich 1957 einen Traum erfüllt und für das neu erworbene Theaterabonnement ein Samtkleid für stolze 48 D-Mark in Detmold gekauft. In der Pause kam es ihr dann auf der „Treppe noch mal entgegen“. Eine andere kaufte sich 1978 im Potsdamer Exquisit-Laden für 480 Ostmark ein Kleid zu ihrer Silberhochzeit. Sie kam an dem hochpreisigen Laden täglich vorbei. Mit ihren drei Kindern, erzählt sie, gab es immer wieder viel Ärger, sodass sie sich mit dem Kleiderkauf eine „kleine Entschädigung“ gönnte. Das Kleid hängt noch heute in ihrem Schrank.
„Vielleicht kennen Sie das auch: Da hört man eine Melodie, ein Geruch steigt einem in die Nase, man sieht einen Gegenstand – und plötzlich ist eine Erinnerung da, die längst verschüttet war.“
In den 1960er Jahren nähten viele der Teilnehmerinnen ihr Outfit oder das ihrer Kinder selbst. Nähmaschinen gab es in fast allen Haushalten. Upcycling war dabei eine gängige Alltagstechnik: Ein Mantel der Tante aus dem Westen, den die Verwandtschaft per Ost-Paket „nachhaltig“ entsorgte, wurde noch in den 1980er Jahren aufgetrennt und raffiniert zu einer Kombination aus Rock und Bluse umgearbeitet.
Das Projekt „alles schick“ lässt diese Upcycling-Technik wieder aufleben. Während im Stadtteilladen im Kirchsteigfeld dafür eine kleine Werkstatt zur Verfügung steht, wird im Senior*innen-Heim ein Aufenthalts- und Fortbildungsraum für Pflegekräfte temporär zum Atelier umgestaltet.
Neben Modezeitschriften stehen edle Papierbögen in zahlreichen Mustern und Strukturen, geordnet nach Farben, für die Entwürfe der Teilnehmerinnen zur Auswahl. Schablonen nach Kleiderskizzen in einer alten „Sibylle“ (der Zeitschrift für Mode und Kultur in der DDR) werden dazu als leicht abänderbares Schnittmuster genutzt. Alle Entwürfe sollen später den einheitlich großen Modellbüsten passen.
Gemeinsam überlegen die Frauen, für welche Gelegenheit sie ihre Kreationen entwerfen wollen: für eine Gartenparty, die Hochzeit der Enkelin, die Einsegnung oder Jugendweihe der Urenkel. Schließlich skizzieren sie ihre Ideen. In Übungen falten sie bedruckte Papiere oder knüllen diese zusammen, um ihre Textur zu ändern. Ästhetische Praxis braucht Materialien, Sammlungen und Struktur. So bekommt jede der Frauen eine Mappe, in der sie den Entwurf wie auch Papier- und Farbexperimente aufheben kann.
Inspiration für das eigene Modellkleid bietet unter anderem der Vortrag „Kleider machen schicke Frauen“ der Kunsthistorikerin Elisabeth Claussen-Greim mit Bildern von Otto Dix, Max Beckmann und Frida Kahlo. Einige der Frauen kennen die Bilder, andere sehen die Kunstwerke zum ersten Mal. Zu den Porträts werden Hüte, lange Abendhandschuhe, Ketten und ein Opernglas herumgereicht.
Passend dazu stöbern die Teilnehmerinnen zu Hause in ihren Fotobüchern oder unsortierten Fotokartons, auf der Suche nach Aufnahmen, auf denen sie in einem schönen Kleid als junge Frau zu sehen sind. Die meisten Fotos, die sie mitbringen, sind in Schwarz-Weiß, wenige aber auch in Farbe.
In einer Zwischen-Präsentation begutachten die Frauen als Expertinnen wertschätzend gegenseitig ihre verschiedenen Arbeiten: Sie raten von einer aufgesetzten Tasche ab oder bewundern einen gefalteten Kragen. Hier geht es nicht mehr nur um eine kreative „Beschäftigung“, das hier ist inzwischen „einfach ihr Ding“. Ob Arzttermin oder Kur, die Frauen machen neben ihren Terminen alles möglich, um am Ende ihre Entwürfe mit den anderen gemeinsam präsentieren zu können.
Im Sommer 2022 ist es so weit: Die Vernissage der Ausstellung „alles schick“ mit den eleganten, (keineswegs schlichten!) Kleiderentwürfen aus Papier findet im Garten des Katharinenhofs mit zahlreichen auch externen Besucher*innen statt. Eine der ältesten Teilnehmerinnen, Karin Seiffert, resümiert in der Eröffnungsrede:
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mich in meinem Alter noch als Modedesignerin versuche, und mir wurde klar, dass ich diese Art von Angebot hier bisher vermisst habe. […] Die Erfahrung, allein und gemeinsam etwas zu schaffen, hat uns beflügelt und offener gemacht.“
Die Entwürfe sowie Fotografien und Geschichten der Frauen in Einfacher Sprache sind schließlich in den Schaufenstern der Tagespflege des Katharinenhofs und des Stadtteilladens im Kirchsteigfeld – auch gut sichtbar für Besucher*innen im Rollstuhl – zu bewundern.
Gabriele Struck ist Kunstpädagogin und Kulturvermittlerin. Sie konzipiert partizipative inklusive Ausstellungen. Sie führt Museumsführungen für Menschen mit Demenz durch und gestaltet Kreativangebote im Senior*innen-Heim.