Dominik Jozic: Hier ist die Westart am Welt-Seniorentag. Weil wir ein Kulturmagazin sind, wollen wir an so einem Tag genauer darauf schauen, wie es um die Teilhabe älterer Menschen an Kulturangeboten steht. Wir sehen ältere Menschen zwar in großer Zahl in klassischen Einrichtungen der Hochkultur – in der Oper, im Theater, in der Philharmonie –, aber erstens können sich das nur diejenigen leisten, die nicht aufs Geld achten müssen, und zweitens ist das auch nichts zum Mitmachen, sondern nur zum Konsumieren, oder schöner gesagt: zum passiven Genießen. Über das andere spreche ich jetzt mit Almuth Fricke, die zu mir ins Studio gekommen ist. Sie ist die Gründerin und Leiterin von kubia, dem Kompetenzzentrum für kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kultur in Köln. Herzlich willkommen, Frau Fricke.
Almut Fricke: Hallo, danke, dass ich hier sein darf.
Dominik Jozic: kubia fördert seit 2008 Kunst- und Kulturprojekte mit älteren Menschen. Wie ist damals die Idee entstanden, so eine zentrale Einrichtung zu schaffen, die vermittelt und mitentwickelt?
Almut Fricke: Die Idee ist entstanden, weil es schon 2005 erste große Kongresse im Kulturbereich zum Thema demografischer Wandel und Kultur gab. Da wurde gefragt: Was machen die Kultureinrichtungen, wenn plötzlich nur noch alte Menschen da sitzen oder irgendwann gar keine mehr? Wir kommen aus der Kulturellen Bildung und hatten schon lange Projekte zur Seniorenkulturarbeit durchgeführt. Dann haben wir überlegt, wie man das strukturell stärken kann, damit auch Menschen Zugänge zu Kultur finden, die bisher noch gar nicht teilhaben. Natürlich richten wir uns auch an Menschen, die schon Kultur nutzen, aber genauso an diejenigen, die vielleicht aufgrund von wenig Geld, Bildung oder Erfahrung keinen Zugang haben.
Dominik Jozic: Es gibt ja manchmal auch einfach Berührungsängste.
Almut Fricke: Genau, da gibt es große Berührungsängste. Kulturelle Bildung wurde lange nur auf Kinder und Jugendliche bezogen. Wir haben dann so einen Turn gemacht und gesagt: Es müsste neben Kulturpädagogik auch eine Kulturgeragogik geben. In Geragogik steckt das, was wir aus Gerontologie und Erwachsenenbildung kennen.
Dominik Jozic: Soziale Teilhabe, das dürfte allen klar sein, ist ein wichtiger Faktor für Lebensqualität – und das gilt natürlich auch im Rentenalter, vielleicht sogar noch mehr, wenn die Arbeit nicht mehr den Alltag prägt. Welche Rolle kann Kultur da spielen?
Almut Fricke: Kultur kann neue Horizonte eröffnen. Es können neue Lern- und Lebenserfahrungen gemacht werden, man kann sich vernetzen, neue Menschen kennenlernen und Möglichkeitsräume finden, um Kreativität und Selbstwirksamkeit zu erleben. Man kann etwas tun, wofür im Berufsleben keine Zeit war. Denn da war Bildung ja immer sehr berufsbezogen. Wenn man dann diese Freiräume hat, ist das einfach eine tolle Chance – und das merken wir auch. Zum Beispiel wollen an den Musikschulen viele Ältere mit Rentenbeginn ein Instrument zu lernen.
Dominik Jozic: Sie fördern auch Projekte, bei denen nicht ein Mensch alleine etwas lernt, sondern in einer größeren Gruppe – wie im Projekt „Boomer Beats“. Das konnten Sie in diesem Jahr realisieren. Erzählen Sie uns davon.
Almut Fricke: Wir vergeben jedes Jahr den Fonds „Kulturelle Bildung im Alter“. Da war gestern die Antragsfrist und es sind wieder 90 neue Anträge eingegangen. „Boomer Beats“ wird im laufenden Jahr gefördert. Das sind Menschen aus Köln, die sich – unter der Leitung von Andrea Bleikamp von Wehr 51 und Anna Marienfeld von Studio Trafique – überlegt haben, dass sie etwas tun wollen, damit Ältere sichtbarer und präsenter sind. Sie machen so eine Art Flashmobs und covern Songs, die eigentlich einer jungen Generation zugeschrieben werden, etwa „Ich muss gar nix“ von Großstadtgeflüster. Denn oft wird Älteren vorgeschrieben, was man alles muss und was man nicht mehr sein darf. Man hat eine bestimmte Rolle und Erwartungen zu erfüllen – und diese Altersbilder zu konterkarieren und neue Altersbilder zu entwerfen, die zeitgemäßer sind, das ist das Anliegen solcher Projekte.
Dominik Jozic: Das bricht also Grenzen auf, die man im Kopf hat. Auch bei anderen Projekten bestehen keine Grenzen: Es gibt ein Tanzprojekt mit Parkinson-Erkrankten. Das soll nicht nur Spaß machen, sondern sogar helfen.
Almut Fricke: Das therapeutische ist ein Nebeneffekt. Es geht erst einmal darum, dass die Menschen Freude haben und etwas finden, wo sie trotz Einschränkungen willkommen sind. Das ist auch ein wichtiger Schwerpunkt im nächsten Förderjahr: Da geht es um Kulturteilhabe mit Einschränkungen. Denn das ist ein Thema, das ja im Alter vermehrt aufkommt. Mit zeitgenössischem Tanz können zum Beispiel Bewegungsmuster aufgebrochen werden, die Menschen mit Parkinson schwerfallen, und neue gefunden werden.
Dominik Jozic: Sie haben gerade ein wichtiges Stichwort genannt: Einschränkungen. Inwiefern müssen diese bei den Projekten mitgedacht werden? Welche Bedingungen müssen diese Projekte, damit sie möglichst niedrigschwellig sind?
Almut Fricke: Kulturgeragogik bedeutet, sich an den Interessen und Bedürfnissen älterer Menschen zu orientieren, die Lernerfahrung von älteren Menschen aufzugreifen – und auch das, was sie in diesem Bildungsprozess noch machen und erreichen wollen. Deswegen sind Einschränkungen natürlich da zu berücksichtigt, wo sie auftreten. 55 Prozent der Menschen mit einer Behinderung in Deutschland sind älter als 60 Jahre. Das ist eine große Gruppe, nur wird das oft nicht als Behinderung gesehen, sondern einfach als „Altsein“.
Dominik Jozic: Genau, viele hören schlechter, sehen schlechter, können sich nicht mehr so gut bewegen – und all das muss berücksichtigt werden. Alle, die gerade zuhören, werden mir wahrscheinlich zustimmen, dass diese Projekte absolut sinnvoll erscheinen, dass da jeder Euro gut investiert ist. Wie sieht das denn das Land NRW? Gibt es ausreichend Fördermittel?
Almut Fricke: Es könnte immer mehr sein, aber wir sind zufrieden. kubia hat eine institutionelle Förderung. Wir können dadurch Kultureinrichtungen und Kulturakteure weiterbilden. Und wir verfügen jährlich über 100.000 Euro, um innovative Projekte anzustoßen. Zum Beispiel gibt es bei „Tanz & Parkinson“ jetzt vier Labore, das letzte vom 18. bis 20. November. Die Idee ist, dass es verstetigt wird, so dass man immer so ein Angebot hat, was in anderen europäischen Ländern schon gang und gäbe ist.
Dominik Jozic: Dann wünsche ich Ihnen alles Gute für die weitere Arbeit. Almuth Fricke war mein Gast hier in der Westart. Sie ist Gründerin und Leiterin von kubia, dem Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kultur. Danke für den Besuch.