Transkript des Podcasts „Kulturgeragogik bei kubia“ – Jutta Hölscher für die evangelische Radiowerkstatt StudioECK, Bürgerfunk auf Radio Köln (20.06.2024)
Moderator: Jetzt ist es Zeit, neue Worte zu lernen. Das erste heißt kubia, eine Abkürzung für „Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kultur“. Eine Einrichtung auf dem Clouth-Gelände in Nippes. Sie unterstützt Akteure der kulturellen und sozialen Arbeit dabei, altersfreundliche und inklusive Kulturangebote zu entwickeln und auch anzubieten. Gefördert wird sie vom Kulturministerium NRW und seit 2011 gibt es einen einjährigen Zertifikatskurs Kulturgeragogik. Dieses Wort und die Arbeit von kubia klärt Jutta Hölscher mit Almuth Fricke, der Leiterin von kubia.
Jutta Hölscher: Der Begriff Geragogik bezieht sich auf das altgriechische Wort „Geron“ für „Greis“ und bedeutet auf Deutsch: die Weiterbildung von älteren Menschen. Als Disziplin hat sie sich in den 1960er Jahren entwickelt, weil sich im Laufe des Lebens das Bedürfnis und die Motivation, etwas zu lernen, verändert.
Almuth Fricke: Im Alter, wenn Beruflichkeit wegfällt und ein neuer Lebensabschnitt beginnt mit viel freier Zeit, verspürt man vielleicht noch mal einen Aufbruch und ganz neue Anlässe, aber auch Wünsche und Bedürfnisse, etwas zu lernen.
Jutta Hölscher: Die Kulturgeragogik bezieht das Ganze auf die Kulturelle Bildung im Alter und bezieht zum Beispiel auch körperliche und geistige Einschränkungen mit in ihre Konzepte ein. Denn kulturelle Aktivitäten sind auch für Ältere ein wichtiger Schlüssel zu sozialer Teilhabe, zu Lebensqualität und Zufriedenheit. Inzwischen ist zum Beispiel sehr gut erforscht, welche positiven Auswirkungen musikalische Teilhabe bei Menschen mit Demenz hat. Ein anderes Beispiel ist, dass auch mit einer Parkinson-Erkrankung oder mit Gelenkproblemen Tanzen zum Wohlbefinden beiträgt.
Almuth Fricke: Bewegung ist ein Schlüssel zum guten Altwerden, aber sinnvolle Bewegung, also künstlerisch eingebettet, ist noch viel mehr. Dann hat das nämlich immer noch diese Sinn-Komponente.
Jutta Hölscher: Almuth Fricke hat Kulturmanagement und Literatur studiert und leitet kubia seit 2008. Den einjährigen Zertifikatskurs Kulturgeragogik hat sie mitentwickelt, um Menschen, die schon in der Kulturellen Bildung sind oder im sozialen Bereich arbeiten, eine zusätzliche Qualifikation anzubieten. Die dauert ein Jahr und besteht aus sechs Modulen: Zwei ganze Wochen und vier Wochenenden. Zunächst geht es um Grundlagen, …
Almuth Fricke: … man lernt dort etwas über Gerontologie, über die Einschränkungen im Alter, Geriatrie, über Geragogik und intergenerationelles Lernen, über Generationenbeziehungen, über Altersbilder und wie diese uns beeinflussen.
Jutta Hölscher: Später kommen die künstlerischen Komponenten hinzu.
Almuth Fricke: Man lernt sehr, sehr viel über Methoden, also wie biografisches Arbeiten mit künstlerischen Methoden kombiniert in der Altenarbeit eingesetzt werden kann. Oder man lernt auch was zu Themen wie Inklusion und Barrierefreiheit, also wie schaffe ich es, Angebote zu entwickeln für ältere Menschen, die so inklusiv sind, dass alle ohne Schwierigkeiten teilnehmen können.
Jutta Hölscher: Zum Abschluss werden Kenntnisse im Bereich Projektmanagement vermittelt und den krönenden Abschluss bildet ein eigenes Praxisprojekt, das dann auch noch im Plenum ausgewertet und diskutiert wird. Welches persönliche Praxisprojekt würde Almuth Fricke gerne einmal umsetzen?
Almuth Fricke: Also ich würde, glaube ich, sehr gerne etwas zur Literaturvermittlung machen und dann auch noch mal schauen: Wie kann man das über diesen üblichen Lesekreis hinaus interaktiver gestalten? Welche Methoden gibt es zum Beispiel zum biographischen Schreiben und wie kann ich auch persönliche Erfahrungen verknüpfen mit dem, was man liest, und das auch gut didaktisch und methodisch aufbauen.
Jutta Hölscher: Gerade in der Biografiearbeit geht es in der Geragogik darum, die Lebenserfahrungen der älteren Menschen zu nutzen.
Almuth Fricke: Wir wissen zum Beispiel, dass unsere Gehirnleistung ab 30, was die Schnelligkeit betrifft, abnimmt, aber dass sich andere Fähigkeiten einfach durch die Möglichkeit der Ansammlung und der Kombination von Wissen verbessern und dass man im Alter aufgrund seines Erfahrungswissens viel besser Verknüpfungen herstellen kann. Vielleicht manchmal nicht mehr so schnell, aber dafür tiefgehender.
Jutta Hölscher: kubia setzt sich dafür ein, dass das Berufsfeld von Kulturgeragog*innen bekannter wird und sich mehr etabliert. Denn in unseren sich schnell wandelnden Zeiten, gerade auch im technischen Bereich, kann niemand mehr mit 65 Jahren sagen: „Ich lerne jetzt nichts mehr“. Leider gibt es aber gerade in den Seniorenheimen immer weniger finanzielle Mittel und Personal, um kulturelle Projekte umzusetzen. Das ist auch deshalb sehr bedauerlich, weil Studien nicht nur den positiven Einfluss auf die Bewohner zeigen, …
Almuth Fricke: … sondern auch auf die Mitarbeitenden, und dass es nicht immer nur um Therapie oder Heilung geht, sondern dass es darum geht, durch Lernen, kulturelle Teilhabe und Aktivität mehr Wohlbefinden zu erzeugen und einen positiveren Blick auf das eigene Alter zu gewinnen.
Jutta Hölscher: Diesen Blick wünscht sich Almuth Fricke auch von der Gesellschaft auf ältere Menschen und ihre Potenziale.
Almuth Fricke: Das heißt nicht, dass die Alten jetzt alles wuppen sollen und, bis sie umfallen, arbeiten sollen, aber dass man einfach noch mal Altersbilder revidiert oder realistischer anschaut und nicht immer nur: Das Alter sind nur Verluste oder die Alten können ja jetzt alles ehrenamtlich machen. Wichtig ist, dass es ein Dazwischen gibt und einen Blick auf ältere Menschen, der wirklich ihrer Wirklichkeit entspricht.
Moderator: Der Zertifikatskurs Kulturgeragogik ist einzigartig in Europa. Die diesjährige Fortbildung beginnt im Oktober. Sie ist zwar ausgebucht, aber es gibt eine Warteliste. Interessenten können sich bei kubia beraten lassen oder ein eigenes Projekt fördern lassen oder sich das kostenlose Magazin Kulturräume+ besorgen. Die Links dazu finden Sie bei uns unter studioeck.de.