Vom Altweibersommer zu Queer Ageing – Feminismus in der Kulturgeragogik
Die 26. Ausgabe des kubia-Magazins fragt, wie der Feminismus wissenschaftliche Diskurse, kulturelle Praxis und weibliche Biografien geprägt hat.
© Paula Berger
In ihrer Abschlussarbeit »Von gelben Karten & lila Latzhosen – Fundstücke der Borkener Frauenbewegung« an der Kunsthochschule Kassel hat sich Paula Berger auf die Spuren einer autonomen Frauengruppe begeben, die 1980 in ihrem Heimatort gegründet wurde – und bis heute existiert. In Gesprächen zwischen den Gründerinnen von damals und jungen Feministinnen von heute bringt die Regisseurin Gegenstände zum Sprechen. Was haben wohl ein lila Türknauf, ein Stapel gelber Karten und ein alter Filmprojektor zu erzählen? Die Kulturräume+-Redakteurinnen Almuth Fricke und Miriam Haller haben mit Paula Berger, Jutta Bringmann, Aktivistin der ersten Stunde, und der Studentin Johanna Nickell über diese intergenerationelle Filmbegegnung gesprochen.
Für feministischen Aktivismus und soziale Bewegungen interessiert und engagiert sich Paula Berger (27) schon länger. Bei der Recherche nach einem Thema für ihre Abschlussarbeit sucht sie nach einem persönlichen Anknüpfungspunkt. Im münsterländischen Borken, wo sie aufgewachsen ist, wird sie fündig: Dort lernt sie Jutta Bringmann (74) und weitere Mitstreiterinnen einer autonomen Frauengruppe kennen. Dabei wird sie erst einmal mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert. »Von dieser konservativen, christlich dominierten Stadt habe ich nicht erwartet, dass dort so viel los war. Ich hätte es natürlich wissen können, denn so groß ist Borken nicht«, so Berger. Vieles hat sie zunächst vom Stadtarchivar erfahren, der für sie auch den Kontakt zur Frauengruppe hergestellt hat. Bald steht das Konzept für ihr intergenerationelles Projekt: Eine fünfteilige Interviewserie, in der junge Frauen die Aktivistinnen der Frauengruppe befragen. Gedreht wird im Kulturzentrum 3Eck in Borken, mit technischer Unterstützung der Filmwerkstatt in Münster. Die finanziellen Mittel kommen vor allem aus dem Regionalen Kulturprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen.
Bei der Frauengruppe stehen Paula Berger die Türen offen: Schon beim ersten Besuch im Sommer 2022 sprudeln die Geschichten. In einer, die ihr besonders im Gedächtnis geblieben ist, geht es um einen lila Türknauf – der Türöffner zu dem ersten eigenen, von der Gruppe angemieteten Haus. Bald war die Idee geboren, solche Objekte zum Ausgangspunkt für die Gespräche zu nehmen. Für Jutta Bringmann sind diese Symbole des Alltags untrennbar mit der Geschichte der autonomen Frauengruppe verbunden. So spielt auch ein Filmprojektor in einem Interview eine besondere Rolle. Bevor Bringmann nach Borken kam, arbeitete sie in einem Filmclub. Im ländlichen Borken gab es derzeit nur ein kleines Kino mit sehr begrenztem Programm, sodass sie erst eine Jugend-, dann eine Frauenfilmgruppe mitbegründete.
Wofür Feministinnen früher gekämpft haben und wofür sie heute kämpfen, sind zentrale Fragen der Interviews: »Wenn ich an die Anfänge zurückdenke, da ging es in der Hauptsache um die Durchsetzung und Verwirklichung von Rechten für Frauen. Denn wir haben uns als Frauen sehr benachteiligt gesehen. Das fing an bei ungleicher Entlohnung, aber auch in puncto Selbstbestimmungsrecht. Dazu gehörte natürlich auch die körperliche Selbstbestimmung – dafür steht die lila Latzhose im Film. Denn in jenen Jahren ging es für Frauen sehr viel darum, sich nach außen hin für den Mann schön zu machen. Dagegen haben wir uns gewehrt. Wir haben unsere BHs weggeschmissen, wir haben uns nicht mehr geschminkt und haben uns diese labberigen Latzhosen angezogen. Das war ein Ausdruck von Befreiung.« Johanna Nickell (21), eine der jungen Interviewerinnen der Filmgespräche, sieht hier Parallelen zu heute. Theoretisch haben Frauen zwar die gleichen Rechte wie Männer, aber die Realität sehe nach wie vor anders aus, meint die Studentin. Es müsse ja nicht alles gleich sein, aber gerecht und fair sollte es zugehen. Was die Gleichstellung betreffe, gebe es immer noch reichlich Nachholbedarf.
Viel habe sich in der Sprache verändert, betont Jutta Bringmann. Inzwischen werde selbst in der Presse neben der männlichen die weibliche Form verwendet, wenn auch nicht durchgängig: »Heute Morgen war in der Zeitung auf der Lokalseite ein großes Bild vom Neujahrsempfang in der Stadthalle. Zu sehen sind fünf Frauen. Und darunter die Bildunterschrift ‚Viele Borkener kamen zum Neujahrsempfang.‘ Früher waren alle Bürger. Frauen wurden in offiziellen Schreiben mit dem Namen ihres Ehemanns angeredet.« Die Diskussion um gendergerechte Sprache sieht Bringmann als Weiterentwicklung, an der ihre Generation allerdings nicht so stark beteiligt ist. »Aber natürlich bekommen wir das auch mit. Wir leben ja noch!«
Aus Sicht der Regisseurin werden heute verstärkt Themen zusammengedacht. Ihre Generation setze sich nicht nur für die Rechte von Frauen ein. »Im Grunde geht es doch darum, dass sich alle Menschen frei entfalten und selbstbestimmt Entscheidungen treffen können. Das fängt bei körperlicher oder sexueller Selbstbestimmung an, aber setzt sich fort im Kampf für Klimaschutz, offene Grenzen und gegen Abschiebungen.« Natürlich gibt es auch Konfliktzonen zwischen den Feministinnen von damals und heute. In der Diskussion um Genderdiversität stehen sich die zwei Generationen in den Medien gerade ziemlich antagonistisch gegenüber. Allerdings, findet Paula Berger, würden die Generationen vor allem so präsentiert, weil einige bekannte Persönlichkeiten wie Alice Schwarzer ihre Meinung vehement in der Öffentlichkeit vertreten und sich beispielsweise transfeindlich äußern. Berger ist jedoch davon überzeugt, dass sich diese Beobachtung nicht auf eine gesamte Generation verallgemeinern lässt: »Es gibt mit Sicherheit viele Menschen in der älteren Generation, die da nicht mitgehen und sehr an ihrem persönlichen Frauenbild festhalten und das nicht erweitern möchten. Aber es gibt in meiner Generation ja auch genug Leute, die super transfeindliche Einstellungen oder andere menschenfeindliche Haltungen haben. Auf der anderen Seite gibt es in der älteren Generation sehr offene Menschen wie Jutta und ihre Mitstreiterinnen, die am Diskurs dranbleiben und Lust auf Begegnung haben.«
Auch Johanna Nickell ist vor dem Filmgespräch von mehr Konflikten ausgegangen, einfach weil es diesen Dialog zwischen den Generationen nicht so häufig gibt. Die Begegnung hat ihr das gute Gefühl gegeben, dass die jüngere Generation gar nicht so allein ist mit ihren Wünschen und Gedanken. Natürlich gibt es Themen, bei denen sich die Generationen auseinanderentwickeln, aber junge Frauen heute haben schließlich eine andere Lebensrealität als die Aktivistinnen von 1980. Auch die Frauengruppe hat sich im Laufe der Jahre verändert. Die politisch aktivste Zeit waren die 1980er und 1990er Jahre, als die Gruppe beispielsweise für die Einführung einer Gleichstellungsbeauftragten in Borken gekämpft hat. Danach sind die Frauen politisch zwar immer mal wieder in Erscheinung getreten, haben sich aber mehr aufeinander konzentriert. Irgendwann haben sie auch nicht mehr aktiv nach jüngeren Frauen als Nachwuchs für ihre Gruppe gesucht.
Zur aktiven Zeit gehört für Jutta Bringmann das Kuratieren von Frauen-Filmreihen, aber auch von politisch engagiertem Kino. Sie erzählt, wie aus der ersten Frauenkulturwoche in Borken eine Zusammenarbeit mit der VHS entstanden ist. Das Veranstaltungsformat VHS-Film gibt es heute noch: 14-tägig wird ein besonderer Film gezeigt, abwechselnd ist das immer ein »Frauenfilm«. Auch Paula Berger hatte dort die erste Berührung mit alternativer Filmkultur. Allerdings nimmt die junge Generation solche Angebote wenig wahr. Eigentlich schade, findet Johanna Nickell, denn in einer Kleinstadt habe man oft das Problem, dass man gar nicht weiß, wer sich noch so Gedanken um bestimmte Themen macht. Ihr fehlen dafür Begegnungsorte.
Die Frage, welche Symbole des Feminismus sie in 40 Jahren an ihre Enkelgeneration weiterreichen würden, ist für Paula Berger und Johanna Nickell gar nicht so leicht zu beantworten. In Zeiten des Internets schwinde die Bedeutung der Dinge. Am Ende fällt ihnen doch noch etwas ein: BHs. Denn auch heute fühle es sich noch feministisch an, wenn man sie nicht trägt. Oder Periodenprodukte, für die kürzlich die Steuern gesenkt wurden. Das Laptop voller Sticker und Demoaufrufe, fügt Johanna Nickell hinzu, die bei Fridays for Future aktiv war. Ob es heute noch Feminismus braucht, halten alle drei für eine rhetorische Frage.
Die Filme sind auf YouTube zu sehen: www.youtube.com/@LilaLatzhosen