Vom Altweibersommer zu Queer Ageing: Feminismus in der Kulturgeragogik
Die 26. Ausgabe des kubia-Magazins fragt, wie der Feminismus wissenschaftliche Diskurse, kulturelle Praxis und weibliche Biografien geprägt hat.
Wer ein kulturelles Angebot für ältere Menschen plant, steht in aller Regel vor der Aufgabe, es bekannt zu machen – und ahnt: Diese Altersgruppe ist so vielfältig, dass Öffentlichkeitsarbeit, die alle gleichermaßen anspricht, gar nicht möglich ist.
Der Begriff „altersfreundliche Kommunikation“ geht zurück auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Seit 2010 gibt es unter ihrem Dach ein globales Netzwerk, in dem sich Städte auf der ganzen Welt verpflichtet haben, ein altersfreundliches lokales Lebensumfeld zu schaffen. In Deutschland gibt es übrigens nur drei Mitgliedsstädte: Münster, Stuttgart und Radevormwald.
Bezogen auf „Kommunikation und Information“ fordert die WHO, dass ältere Menschen die sie betreffenden Auskünfte rechtzeitig, effektiv und auf leicht zugängliche Weise über die ihnen vertrauten Kommunikationskanäle erreichen. Besonders hebt die WHO die Zugänglichkeit von Informationen für ältere Menschen mit Seh- und/oder Hörbehinderung hervor.
Im Wissen um die Diversität der Adressat*innen soll im Folgenden umrissen werden, worauf es ankommt, wenn Kultur- und Bildungsanbieter altersfreundliche Kommunikation in diesem Sinne umsetzen möchten.
„Die Älteren“ im Sinne einer homogenen Gruppe von Menschen mit ähnlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Interessen gibt es nicht. In Deutschland leben rund 19 Millionen Menschen über 65 Jahren. Die Forschung zieht die Grenze zum „Ältersein“ manchmal schon bei Ü60 oder sogar Ü50. Wir sprechen also über eine Spanne von rund 40 Lebensjahren, in der Menschen zu „den Älteren“ gezählt werden.
Entsprechend variiert auch das Mediennutzungsverhalten der älteren Menschen stark. Neben körperlichen und kognitiven Einschränkungen spielen dafür auch im Laufe des Lebens angeeignete Gewohnheiten und Vorlieben eine Rolle. Die SIM-Studie („Senior*innen, Information, Medien“) aus dem Jahr 2021 kommt zu dem Schluss, dass es „eine große digitale Spaltung innerhalb der Altersgruppe 60 Jahre und älter“ gibt (mpfs 2021, S. 17). So verfügen 83 Prozent der befragten deutschsprachigen Personen ab 60 über einen Internetanschluss. Fast genauso viele besitzen einen Computer, 72 Prozent ein Smartphone. Das Smartphone nutzen fast zwei Drittel einmal oder mehrmals täglich. Jede*r Zweite verwendet mindestens täglich einen Computer und knapp jede*r Dritte ein Tablet. Während ein Großteil der Altersgruppe digitale Medien und das Internet also häufig nutzt, macht ein beträchtlicher Anteil der älteren Menschen von diesen Geräten und vom Internet überhaupt keinen Gebrauch.
Laut SIM-Studie sind 19 Prozent der Bevölkerung ab 60 Jahren sogenannte Offliner*innen. Hier gibt es allerdings große Unterschiede in den einzelnen Alterssegmenten: Während unter den 60- bis 69-Jährigen lediglich acht Prozent und unter den 70- und 79-Jährigen 18 Prozent offline sind, sind es bei den Über-80-Jährigen fast die Hälfte. Neben dem Alter spielen aber auch andere soziodemografische Merkmale wie Geschlecht, Haushaltsgröße, Bildung und Einkommen eine Rolle.
Laut SIM-Studie sind die Offliner*innen zu zwei Dritteln weiblich und leben zu 61 Prozent allein. Während nur sieben Prozent der Personen ab 60 Jahren mit einem Abitur oder Studium das Internet nicht nutzen, sind 27 Prozent der Personen mit einem Haupt- oder Volksschulabschluss offline. Ähnlich verhält es sich beim Haushaltsnettoeinkommen: Je niedriger das Einkommen, desto höher ist der Anteil der Offliner*innen.
Daraus resultiert: Hochaltrige Menschen, insbesondere, wenn sie weiblich sind, allein leben, ein geringes Einkommen und eine formal niedrige Bildung haben, erreichen Kultur- und Bildungsanbieter vor allem mit analogen Kommunikationsmitteln. Dazu können sowohl übersichtlich und barrierearm gestaltete Print-Materialien wie Flyer und Broschüren dienen als auch Werbeanzeigen oder Artikel in Zeitungen und Magazinen. Eine Tageszeitung abonnieren immerhin 58 Prozent der Menschen über 60 Jahre.
Das heißt im Umkehrschluss jedoch nicht, dass digitale Kommunikationsmittel nicht ebenso wichtig sind. Schließlich nutzt die große Mehrheit der älteren Menschen das Internet, und die Zahl der Offliner*innen sinkt stetig. Doch welche digitalen Kanäle sind besonders erfolgversprechend, um die älteren Onliner*innen zu erreichen? Die wichtigste Online-Aktivität der Menschen über 60 Jahre in Deutschland ist der SIM-Studie zufolge die Recherche: So nutzen vier von fünf älteren Onliner*innen mindestens einmal in der Woche eine Suchmaschine. Auf Platz zwei der mindestens wöchentlich genutzten Internetfunktionen liegt der Austausch über Messenger-Dienste wie WhatsApp (75 %), gefolgt von E-Mails (70 %). Ältere Menschen gehen also vor allem ins Internet, um sich zu informieren und zu kommunizieren.
Auf Social Media sind sie hingegen wenig unterwegs: Nur 21 Prozent aller Onliner*innen ab 60 Jahren nutzen im Jahr 2021 soziale Netzwerke mindestens wöchentlich, weitere sechs Prozent selten und 73 Prozent überhaupt nicht. Das einzige Netzwerk mit nennenswerter Nutzung ist Facebook. Das in der Gesamtbevölkerung ebenfalls populäre Instagram verwenden Menschen über 60 Jahre hingegen kaum. Kulturangebote für ältere Menschen auf Social-Media-Plattformen zu bewerben, ist somit nur bedingt erfolgversprechend. Allerdings, so berichten Praktiker*innen, suchen gerade Hochaltrige oft nicht selbst nach Angeboten, sondern werden über Personen aus ihrem Umfeld erreicht, etwa durch jüngere Angehörige oder Betreuungspersonen, die durchaus erfolgreich in sozialen Netzwerken angesprochen werden können.
Das wohl wichtigste Online-Kommunikationsinstrument zur Ansprache Älterer ist die klassische Website. Diese sollte übersichtlich, gut strukturiert und möglichst barrierefrei gestaltet sein. Die Website-Texte sollten zudem leicht verständlich sein. Dies kommt allen Nutzer*innen zugute, in besonderem Maße aber den älteren, die statistisch gesehen häufiger von Einschränkungen etwa des Seh- und Hörvermögens oder von nachlassenden kognitiven Fähigkeiten betroffen sind.
Besonders wichtig sind Maßnahmen, die Menschen mit einer Sehschwäche die Nutzung einer Website erleichtern. Dazu gehören etwa hohe Kontrastwerte, eine große Schrift, eine übersichtliche Seitenstruktur und große, anklickbare Flächen statt kleiner Verlinkungen im Text. Auch leicht auffindbare Möglichkeiten, Schriftgröße und Kontrast individuell anzupassen oder sich den Text auf einer Seite vorlesen zu lassen, können hilfreich sein.
Trotz der Vielfalt von Lebensentwürfen und Lebensweisen im Alter sind klischeebehaftete Vorstellungen vom Alter und von alten Menschen gesellschaftlich weit verbreitet. Dazu gehören sowohl negative Vorstellungen eines von Krankheit, Einsamkeit und verminderter Leistungsfähigkeit geprägten Alters als auch positive Vorstellungen eines Alterns in Weisheit und Gelassenheit, die nebeneinander existieren (vgl. Kessler/Warner 2022, S. 58f.). Hinzu kommt das in Medien und Werbung oft transportierte Bild „junggebliebener Superseniorinnen und -senioren“ (Kessler 2023, S. 11).
Bei all dem handelt es sich um Stereotype, die wenig mit der Realität zu tun haben. Praktiker*innen der kulturellen Bildungsarbeit berichten vom nachvollziehbaren Unwillen vieler älterer Menschen, sich aufgrund des kalendarischen Alters einer Gruppe zuzuordnen. Das hat zur Folge, dass sie sich nicht angesprochen fühlen (wollen), wenn explizit „Senior*innen“ eingeladen werden (vgl. Skorupa 2018). Anbieter von kulturellen Bildungsangeboten für ältere Menschen sollten überlegen, ob es überhaupt notwendig ist, das Alter der Adressat*innen explizit zu benennen. Denn erfahrungsgemäß nehmen ältere Menschen altersoffene Angebote gern an, wenn sie die Aktivität oder das Thema interessiert. Oft genügt es schon, einen Termin an einem Werktag tagsüber anzusetzen, um die Teilnehmenden auf Menschen in der nachberuflichen Phase einzugrenzen.
Generell ist es ratsam, sich nicht nur bei der Öffentlichkeitsarbeit, sondern schon bei der Konzeption von Angeboten die Individualität der Menschen im höheren Lebensalter bewusst zu machen und die eigenen Altersbilder zu reflektieren, um nicht ungewollt Altersstereotype zu reproduzieren.
Eva-Marie Kessler (2023): „Altern – ältere Menschen – demographischer Wandel“ in Sprache und Bild – ein Kommunikationsleitfaden. Hrsg. vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Berlin.
Eva-Marie Kessler, Lisa Marie Warner (2022): Ageismus. Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland. Hrsg. von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Berlin.
mpfs (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) (Hrsg.) (2021): SIM-Studie 2021. Senior*innen, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang von Personen ab 60 Jahren in Deutschland. Stuttgart.
Magdalena Skorupa (2018): Alter, was geht? Wie Kunst und Kultur unser(e) Selbst-Bild(ung) stärken und stereotype Altersbilder revidieren. In: Kulturräume+ 14/2018, S. 26-28.
Yvonne Giedenbacher (2021): Neue Bilder des Alter(n)s. Wertschätzend über das Altern kommunizieren. Hg. vom Dachverband der österreichischen Sozialversicherungen. Wien.
Susann de Luca (2023): Ewig jung oder senil und vergreist? Vielseitige Altersbilder in den Medien gefragt. Hg. vom Mitteldeutschen Rundfunk. Leipzig. (Zugriff: 23.02.2024)
Anja Hartung et al. (Hrsg.) (2023): Seniorenmarketing. Medien & Altern. Zeitschrift für Forschung und Praxis. Heft 23. München.
Die „Age-Positive Image Library“ des Centre for Ageing Better (UK) stellt Fotos zur freien Verfügung, die ältere Menschen positiv und realistisch darstellen.
Das Vorgehensmodell ist ein pragmatisches Instrument, um Barrierefreiheit angesichts der Vielzahl der Bedarfe und begrenzter Ressourcen im Kulturbetrieb strukturiert angehen, organisieren und steuern zu können.
Miriam Haller hat einen Qualitätsstern mit zwölf Leitprinzipien für die Kulturelle Bildung im Alter entwickelt und stellt ihn im Sinne einer partizipativen Qualitätsentwicklung zur Diskussion.
Gendergerecht und zugleich barrierearm zu schreiben, ist eigentlich nicht möglich. Wenn wir sowohl diversitätssensibel als auch einfach schreiben möchten, müssen wir Kompromisse eingehen.
Dieser Grundlagen-Beitrag erläutert, was Kulturelle Bildung ist und warum sie auch im Alter wichtig ist.
Ben Evans leitet die Abteilung „Arts & Disability, European Union Region“ beim British Council. Er hat täglich mit Projekten zu tun, an denen die besten und innovativsten Künstler*innen mit Behinderung beteiligt sind.
Hans Hermann Wickel arbeitet heraus, was kulturelle Aktivität im Alter ausmacht, und wie die neue Disziplin Kulturgeragogik dazu beitragen kann, die kreativen und kulturellen Potenzialen des Alters zu nutzen.
Nina Lauterbach-Dannenberg schaut auf zehn Jahre kubia und die Idee des Kompetenzzentrums, Vernetzung, Beratung, Information, Forschung und Qualifikation für die Kulturarbeit mit Älteren anzubieten.
Seit 2009 bietet kubia die Weiterbildungsreihe KulturKompetenz+ an. Das zehnte Jubiläum war für Anna Hardock und Imke Nagel Anlass für Evaluation und Rückschau.
Wie Otto Friedrich Bollnow, der Begründer der Geragogik in Deutschland, die Grundlagen für seine Theorie Kultureller Bildung im Alter aus Literatur und Wortkunst ableitet, beschreibt Miriam Haller.
Victoria Hume (Culture, Health & Wellbeing Alliance) und Farrell Renowden (Age UK) geben einen Überblick über die Studienlage zu Gesundheit, Wohlbefinden und Creative Ageing in Großbritannien.
Sie möchten sich zu unseren Themen beraten lassen oder mehr über unsere Veröffentlichungen erfahren? Sprechen Sie uns gerne an!