Im Jahr 2004 setzte das Institut erneut einen Samen in die Erde der kulturellen Bildungsarbeit für Ältere. Mit dem Modellvorhaben „mehrkultur55plus – Öffnung der Kulturwirtschaft für Seniorinnen und Senioren“ und dem Forschungsprojekt „Kulturelle Bildung im dritten und vierten Lebensalter“ bekam der Spross dann reichlich Nahrung. Hier wurde das Frühbeet der Ideen angelegt und die zarten Pflänzchen der Sensibilisierung für Kultur im Alter konnten Wurzeln schlagen – was 2008 schließlich in die Idee und zum Aufbau von kubia mündete. Dabei war Almuth Fricke, der Leiterin des Instituts und von kubia, von vornherein eines besonders wichtig: „Dass es sich bei ‚den Älteren‘ nicht um eine Zielgruppe handelt, sondern um eine heterogene Gruppe von Menschen mit ganz unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen und -bedürfnissen.“
Schon zu Beginn traf man in der Szene der Altenkulturarbeit nicht auf eine Reinkultur: Die Themen und Anforderungen waren vielfältig und groß. So entstanden bei kubia zum einen Praxisprojekte wie das Pilotprojekt „Auf Flügeln der Musik“ – ein im Jahr 2012 neu entstandenes Konzert- und Rahmenprogramm für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Die Konzerte fanden in Zusammenarbeit mit dem WDR-Sinfonieorchester Köln, den Duisburger Philharmonikern und vielen weiteren engagierten Akteuren der klassischen Konzertszene statt. So kamen auch Menschen, die für Institutionen der Kulturvermittlung bis dahin kaum sichtbar gewesen waren, in den Genuss von Teilhabe und Konzerterleben. 2014 wurde das Projekt mit dem BKM-Preis Kulturelle Bildung ausgezeichnet. Ein ebensolches „Schattengewächs“, wie Menschen mit Demenz es in der Kulturarbeit lange waren, bildete die Gruppe der älteren Menschen mit Migrationshintergrund. Das Projekt „Polyphonie – Stimmen der Kulturellen Vielfalt“, das von 2007 bis 2010 als Beitrag zur Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010 im ganzen Ruhrgebiet von kubia organisiert wurde, hatte zum Ziel, den kulturellen Beitrag älterer Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in den öffentlichen Blick zu rücken. „Polyphonie“ bot den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Möglichkeit, ihr Gesangstalent in Workshops mit Unterstützung von professionellen Musikern und Musikpädagoginnen weiterzuentwickeln. Das Projekt fand seinen Abschluss bei einem voll besetzten Konzert in der Philharmonie Mercatorhalle Duisburg im Mai 2010.
Dass die Arbeit mit diversen Zielgruppen wie Frühblüher Knospen treiben kann, wenn man die Menschen miteinander in Verbindung bringt, bewies auch das Projekt „mix@ges“, das von 2011 bis 2013 stattfand. An dem EU-geförderten Projekt beteiligten sich Partnerinstitutionen aus fünf europäischen Ländern. Es fanden insgesamt 15 Workshops statt, in denen junge und ältere Teilnehmende gemeinsam innovative Medienprodukte geschaffen haben – beispielsweise in den modern klingenden Projekten „Tagging Sculptures“ oder „Multimediale Audioguides“.
Dass Diversität ein kubia-Thema ist, zeigt sich auch darin, dass zum Themenbereich Alter(n) noch der große Bereich der Inklusion dazugekommen ist. „Eine rankende Rose“, sagt Annette Ziegert, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei kubia, „die bei guter Pflege wunderbar blüht, tolle neue Möglichkeiten und Erfahrungen ermöglicht und sich weiterentwickelt, manchmal aber auch sticht, weil es unbequem sein kann, Kulturarbeit inklusiv und damit notwendigerweise neu zu denken“. Das Projekt „INKLU:CITY“ ist ein Beispiel für die Dornen, die an genau den richtigen Stellen gepiekt haben. „INKLU:CITY“ war ein inklusives Kulturprojekt mit hohem Diversity-Anspruch: Es beinhaltete die Entwicklung der inklusiven Theaterproduktion „Schrei mich an“ in Köln und den Transfer der Erfahrungen ins Land Nordrhein-Westfalen durch Gastspiele, Workshops für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie die Entwicklung weiterer inklusiver Kunst-Projekte. Mit einer Werkschau der entstandenen Produktionen im Comedia Theater in Köln und dem internationalen Symposium „ALL IN – Qualität und Öffnung von Kulturarbeit durch Inklusion“ im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln endete das Projekt im Mai 2016. Das Tagungskonzept aus Theorie und Praxispräsentation wird weiterhin fortgeführt und verdeutlicht, welch hohen künstlerischen Anspruch Menschen mit einer Einschränkung an ihre Performance haben. Weil es eben normal ist, verschieden zu sein, steht bei den kubia-Tagungen immer die hohe künstlerische Qualität der Darstellenden Künste im Vordergrund – nie das Alter oder die vermeintliche Einschränkung einer Person. Die promovierte Erziehungswissenschaftlerin Angelika Kordfelder verschriftlichte gleichlautendes Stimmungs- und Lagebild zur inklusiven Kulturarbeit in Nordrhein-Westfalen „Es ist normal, verschieden zu sein“ in Zusammenarbeit mit kubia-Mitarbeiter Arne Siebert 2017 in Form einer qualitativen Studie.
Wissenschaftliche Fundierung ist bei kubia ohnehin der Nährboden für den nachhaltigen Ertrag. Alle Projekte werden sorgfältig praktisch erprobt und evaluiert. Zu jedem Projekt gibt es eine anschauliche Dokumentation oder Handreichung, teilweise sogar ganze Forschungsbände, wie zum Beispiel die Studie der beiden Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Flavia Nebauer und Kim de Groote „Auf Flügeln der Kunst. Ein Handbuch zur künstlerisch-kulturellen Praxis mit Menschen mit Demenz“ (2012). Die am Institut entstandene Dissertation von de Groote mit ihrem Appell: „Entfalten statt liften!“, in der sie 2013 eine qualitative Untersuchung zu den Bedürfnissen von Seniorinnen und Senioren in kulturellen Bildungsangeboten durchführte, zeigte, dass kubia in der Lage ist, ganz eigene Gattungen zu züchten. Die Studie untersuchte, wie kulturelle Bildungsangebote für Ältere gestaltet werden sollten, um den Bildungsbedürfnissen Älterer und den Veränderungen des Lernens im Alter gerecht zu werden. Die Kulturgeragogik, die als bislang unentdeckte Pflanze aus diesen Forschungsanstrengungen hervorging, existiert mittlerweile als eigene Disziplin. Ihr widmet sich der von Almuth Fricke und Universitätsprofessor Theo Hartogh 2016 herausgegebene internationale Sammelband „Forschungsfeld Kulturgeragogik – Research in Cultural Geragogy“. Schon seit 2011 richtet sich der gleichnamige weiterbildende Zertifikatskurs „Kulturgeragogik – Kulturarbeit mit Älteren“ in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Münster an die Zielgruppe der Kulturschaffenden und an die in der sozialen Altenarbeit und Pflege Tätigen –sozusagen an die Gärtner auf dem Feld der vielfältigen kulturellen Bildungsarbeit –, um sie zu professionellen Vermittlerinnen und Vermittlern von Kunst und Kultur mit und für Ältere auszubilden. Kim de Groote, die federführend an der curricularen Ausgestaltung der Weiterbildung arbeitete, vergleicht die Kulturgeragogik gern mit einer bunten Blumenwiese: „Die Teilnehmenden sind die verschiedenen Blumenarten. Sie haben unterschiedliche Qualifikationen, Erfahrungen, Interessen. In der Weiterbildung gedeihen und verbreiten sie sich, die Wiese wird größer und bunter. Durch Zusammenarbeit und Austausch entstehen neue, interessante und wunderschöne Arten. Das Team der Weiterbildung sowie die Dozentinnen und Dozenten befördern ihr Wachstum. In der Artenvielfalt liegt die Schönheit.“
Wer Weiterbildung erst einmal in kleineren Portionen ausprobieren möchte, ist bei der Fortbildungsreihe „Kulturkompetenz+“ richtig. Die Workshop- und Webinar-Reihe bietet Praxiswissen für die Kulturelle Bildung im Alter und die inklusive Kulturarbeit aus allen Sparten – im Format von eintägigen Impuls-Workshops oder als einstündiges Online-Angebot. kubia-Bildungsreferentin Imke Nagel vergleicht dieses Angebot gern mit Akelei: „Weil die Blume sich aussät. Mit unserem Fortbildungsangebot wollen wir Impulse geben und die Menschen inspirieren, neue Methoden in ihrer Arbeit auszuprobieren. Diese Samen sollen sich aussäen!“
Auch „Theatergold“, das landesweite „Forum für Theater im Alter“ in Nordrhein-Westfalen, ist bei kubia angedockt. Rund 80 Seniorentheatergruppen sind im Land aktiv. Doch diese beschränken sich nicht nur auf ihresgleichen. Intergenerationelle Konzepte sind immer häufiger zu finden. Als Arbeitsfeld von kubia unterstützt Theatergold diese lebendige Seniorentheaterszene durch Präsentation, Qualifizierung, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit. Darüber hinaus organisiert Theatergold den Stückewettbewerb NRW „Reif für die Bühne“. Die freie Mitarbeiterin bei Theatergold, Susanne Lenz, die die Arbeit des Forums koordiniert, sieht darin eine stachelige Angelegenheit: „Theatergold ist wie ein Kaktus. Weil man hängenbleibt und weil die Alten auf der Bühne ihre Stacheln ausfahren und auch gesellschaftlich Brisantes ansprechen. Außerdem: Kakteen brauchen wenig Wasser. Theater muss mit wenig Geld auskommen. Da gibt es eine weitere Gemeinsamkeit.“
Ein Gewächshaus, in dem spannende und mutige Themen gedeihen können, sind die Kulturräume, das zweimal im Jahr erscheinende Magazin von kubia. Darin finden sich Praxisbeispiele, Porträts von Vorreitern der kulturellen Bildungsarbeit mit Älteren, Literatur- und Medientipps, wissenschaftliche und kreative Betrachtungen. Hier werden auch Projekte vorgestellt, die durch den Förderfonds Kultur & Alter des Landes NRW unterstützt wurden. Mit 100.000 Euro fördert das Land jedes Jahr seit 2012 Projekte, die zeitgemäße und innovative Formen der Kulturarbeit mit älteren Menschen erproben. Der Förderfonds wird organisatorisch und inhaltlich bei kubia von Magdalena Skorupa begleitet: „Das ist ein Projekt, das Wurzeln wie ein Rhizom schlägt. Sie breiten sich schnell und geflechtartig aus. In der Philosophie gibt es einen Ansatz, der unter Rhizomen eine neue Definition von Wissens- und Ordnungssystemen versteht. In einem Rhizom gibt es keine Punkte oder Positionen, wie etwa in einer Struktur, einem Baum oder einer Wurzel. Es gibt nichts als Linien.“
Für eine gemeinsame Linie, die eine positive und generationenübergreifende Perspektive auf das Thema „Kultur und Alter“ einnimmt, ist eine vernetzende Politik notwendig, bei der alle Beteiligten die künstlerisch-kulturelle Beteiligung älterer Menschen als Chance begreifen. Dafür müssen Kultur-, Sozial- und Gesundheitssektor zusammenarbeiten. Letzteres ist für kubia essenziell: die Zusammenarbeit und die Netzwerkarbeit. Durch die Mitgliedschaften in der BAGSO zum Beispiel, beim Deutschen Kulturrat und im Kulturrat NRW, aber auch die aktive Mitwirkung bei AMATEO, dem European Network for Active Participation in Cultural Activities, ist kubia bestens auf unterschiedlichsten Ebenen vernetzt. Und da ist es auch wie bei den Pflanzen: Gut gedüngt ist halb geerntet. Für die Pflege der Netzwerke und das Gedeihen von Kooperationen ist bei kubia die Referentin Janine Hüsch zuständig: „Für mich ist die Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit eine Art Rankpflanze, vielleicht eine Passionsblume. Passion habe ich für die Themen und Projekte von kubia und für die Menschen, die dahinter stehen. Rankpflanze passt auch, weil durch die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit unsere Arbeit sicht- und wahrnehmbar wird und auch Dinge, Menschen, Institutionen etc. miteinander verbunden werden. So klettert die Rankpflanze immer höher, wird stärker und verbindet sich mit Dingen, an denen sie entlangranken kann.“
In den anderen Bundesländern, aber auch im internationalen Ausland wird das neu- und einzigartige Gewächs namens kubia oft bestaunt und ob des Seltenheitswerts dieser einmaligen Pflanze beneidet. Studienreisende aus den USA, Großbritannien, Singapur, Finnland, den Niederlanden und Südkorea haben schon den Weg nach Nordrhein-Westfalen gefunden, um sich über die vielfältige Arbeit von kubia zu informieren. In Zusammenarbeit mit renommierten internationalen Partnerinnen Partnern, die sich in anderen europäischen Ländern für die kulturelle Teilhabe älterer Menschen in Praxis, Politik, Forschung und Weiterbildung einsetzen, ist so auch das „Long Live Arts Manifesto“ entstanden. „Lang lebe die Kunst!“ – dies könnte auch als Motto über der Arbeit von kubia in den vergangenen zehn Jahren stehen – eine bunte Blumenwiese und eben keine Monokultur!